Auch in der zweiten Strophe wird die alte geistliche Terminologie
absichtlich und wirkungsvoll verweltlicht.
Die Dame bezeichnet hier den Ritter als Gott in dem von ihm gewählten
Himmelreich:
"Sit er giht ich si sin himelriche,
so habe ich in zuo gote mir erkorn,
daz er niemer fuoz von mir entwiche".
(II.,1-3) .
Diese Worte sind, zumindest Tür jene Zeit, sehr kühn. Hier
zeigt sich, daß in den Frauenstrophen die Empfindungen allgemein
freier und ungezügelter zum Ausdruck gelangen.
Im folgenden Vers wendet sich die Frau an Gott und bittet ihn, ihre
Worte nicht als Blasphemie aufzufassen:
"herre gotf la dirz niht wesen zorn."
(II., 4).
Da wir heute hinter der Handlungsweise Ottos von Botenlauben sowohl
im heiligen Land, als auch später, als er und seine Gattin sich stark
der Kirche zuwendeten, tiefe Religiosität vermuten dürfen, können
diese Worte nur so gemeint sein:
"Da er behauptet, ich sei sein Himmelreich, so habe ich ihn —in diesem
Himmel— zum Gott erwählt,
auf daß er sich niemals auch nur einen Schritt daraus entferne,
so wie Gott stets im Himmel thront."
Die Dame verwendet also einen Vergleich, um ihre tiefe Verbundenheit
mit dem Dichter zu verdeutlichen.
Die Gedanken an die Minne und den Gottesdienst stehen in diesem Kreuzzugslied
so gleichwertig nebeneinander, daß sich der Glanz des Himmlischen
nicht mehr so leuchtend über das von der Minne erhellte irdische Sein
erhebt.
So bleibt weder motivlich noch sprachlich viel vom alten Glanz der
religiösen höfischen Kreuzzugslyrik bei Otto von Botenlauben
erhalten.
Der Ton ist leidenschaftslos , weil die Kreuzzugsidee verblaßt
ist und nur noch die Pflicht entscheidet.
Höchstens das Verlangen nach dem göttlichen Lohn veranlaßt
den Ritter noch zur "vart".
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1. Vgl. C,v.Kraus, a.a.O., S. 370 .